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Grober Behandlungsfehler bei unterlassener Bluttransfusion

Das ärztliche Ziel muss es sein, dem Patienten die größtmögliche Chance für eine vollständige Genesung zu verschaffen.

Urteil des OLG Hamm vom 21.03.2017, 26 U 122/09

Der Sachverhalt des Falls stellt sich wie folgt dar.

Die Klägerin wurde im Jahr 2002 durch ihre Gynäkologin wegen massiver Hypermenorrhoe mit dem Abgang eines Blutgerinnsels zur stationären Aufnahme in ein Krankenhaus überwiesen. Bereits bei der Einweisung bestand eine ausgeprägte Anämie mit einem Hb-Wert von 7,5 g/dl. Der Oberarzt der gynäkologischen Abteilung riet der Klägerin zu einer Gebärmutterspiegelung. Je nach Befund sollte sich direkt eine Hysterektomie anschließen.

Der Eingriff erfolgte im März 2002. Als der Anästhesist zur Vorbereitung der Entfernung der Gebärmutter die Narkose vertiefte, fielen der Blutdruck und die Blutsauerstoffsättigung der Klägerin zwischen 8:35 Uhr und 8:45 Uhr stark ab. Trotz eingeleiteter Gegenmaßnahmen musste die Klägerin reanimiert und auf die Intensivstation verlegt werden. Obgleich sich die Hb-Werte zwischen 5,7 g/dl und 6,2 g/dl bewegten, erfolgte eine erste Bluttransfusion erst gegen 20 Uhr.

Die Klägerin lag zweieinhalb Wochen im Koma. Aufgrund der Sauerstoffunterversorgung kam es zu starken körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, weshalb sie dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen ist.

Abweisung der Klage durch das Landgericht

Die daraufhin erhobene Klage, die sich auf zahlreiche vermutete Behandlungsfehler stützte, wurde durch das Landgericht abgewiesen. Dieses sah weder beinen gynäkologischen Behandlungsfehler noch einen Narkosefehler als erwiesen an.
Auch das OLG konnte nicht alle der gerügten Behandlungsfehler bestätigen. Allerdings wertete es das Geschehen hinsichtlich der erst gegen 20 Uhr verabreichten Bluttransfusion als groben Behandlungsfehler.

Wie definiert sich das ärztliche Ziel?

Letztlich nahm das OLG Hamm an, dass es fehlerhaft unterlassen worden sei, die Klägerin alsbald nach der Reanimation mit Blutkonserven zu versorgen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige bejahte ein Abweichen vom ärztlichen Standard, indem dies erst zehn Stunden nach der Reanimation geschah.

Zwar gäbe es, so der Sachverständige, keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass eine Transfusion ab einem Hb-Wert unter 6,0 erforderlich sei. Dennoch müsse es das ärztliche Ziel sein, dem Patienten die größtmögliche Chance für eine vollständige Genesung zu verschaffen.

Hierzu hätte die Sauerstoffunterversorgung des Gehirns schnellstmöglich beendet werden müssen. Für die Entscheidung gegen oder für die Gabe von Erythrozyten sei zudem das klinische Gesamtbild maßgeblich, welches insbesondere durch die Reanimation geprägt war. Nach Einschätzung des Sachverständigen hätten 98 % aller Anästhesiologen und Intensivmediziner im vorliegenden Fall eine unverzügliche Transfusion durchgeführt.

Das Unterlassen der Bluttransfusion war schlicht nicht nachvollziehbar

Das OLG hat das Verhalten der Ärzte als groben Behandlungsfehler eingestuft. In Fällen, in denen die Chancenwahrung höchste Priorität habe, hätte eine Verzögerung von etwa zehn Stunden schlichtweg nicht unterlaufen dürfen.

Im Ergebnis hat der Senat der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 € zuerkannt.