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Arzthaftungsrecht: Anforderungen an die intraoperative Aufklärung

Aufklärungsfehler des Krankenhauses: Fehlerhafte intraoperative Aufklärung der Eltern bei einer Nierenoperation ihres Kindes.

Urteil des OLG Hamm vom 07.12.2016 – 3 U 122/15

Der im Jahr 2004 geborenen Kläger sollte am 21.01.2013 im Krankenhaus der Beklagten operativ behandelt werden. Dabei sollte eine neue Verbindung zwischen dem Nierenbecken und dem Harnleiter auf der linken Seite geschaffen werden, die Funktionsleistung der Niere betrug nur 22 %. Intraoperativ stellte sich jedoch heraus, dass der Eingriff aufgrund von nicht vorhersehbaren anatomischen Gegebenheiten nicht möglich war.

Daraufhin wurde der Mutter des Klägers persönlich und dem Vater des Klägers telefonisch mitgeteilt, dass sich die Situation verändert hatte. Es wurde empfohlen, die linke Niere zu entfernen. Die Eltern erteilten die Einwilligung, die Operation wurde daraufhin fortgesetzt und die linke Niere des Klägers entfernt.

War die intraoperative Aufklärung ausreichend?

Das Gericht hat eine Haftung der beklagten Klinik bejaht. Nach erfolgter Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass den Eltern die Situation so dargestellt wurde, dass die Entfernung der Niere – sofort während der bereits laufenden Operation oder aber nach einer Übergangslösung – letztlich alternativlos gewesen sei. Über einen möglichen Erhalt der Niere sei nicht gesprochen worden.

Tatsächlich bestand laut des vernommenen Sachverständigen keine zwingende Notwendigkeit, die Niere sofort und unmittelbar zu entfernen.  Die Operation hätte beendet werden und mit den Eltern die weitere Vorgehensweise in Ruhe besprochen werden können. Zudem hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, wenigstens eine Restfunktion der Niere zu erhalten. Dies gilt obwohl, die nierenerhaltenden Operationen mit einem höheren Risiko und einer zweifelhaften Erfolgsrate verbunden gewesen wären. Das Gericht hat festgestellt, dass die intraoperative Aufklärung der Eltern des Klägers nicht genügte.

Worin bestand der Aufklärungsfehler?

 

Aufgrund der Tragweite und der Bedeutung der Entscheidung für eine Nierenentfernungs- oder eine riskante und schwierige Nierenerhaltungsoperation und unter besonderer Berücksichtigung des Umstands, dass die Kindeseltern sich präoperativ ausdrücklich gegen eine Nierenentfernung bei dem Kläger entschieden hatten, hätte es aber zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der intraoperativen Aufklärung dahingehend bedurft, dass neben der sofortigen Nierenentfernung auch ein Abbruch der Operation mit einer Ableitung des Harns nach außen für eine Übergangszeit möglich wäre.

Es hätte mitgeteilt werden müssen, dass dann die Aufklärung, Beratung und Entscheidung in Bezug auf mögliche andere, aber riskante und schwierigere Wege der Nierenerhaltung, die aus Sicht der Beklagten ungünstigere Erfolgsaussichten gehabt hätten, ermöglicht würde.

Aus Sicht des Senats mussten die Eltern intraoperativ nur entscheiden, ob der Eingriff mit einer Übergangslösung und einer dadurch eröffneten Überlegungsfrist in Bezug auf das weitere Vorgehen oder mit einer bereits endgültigen Nierenentfernung beendet werden sollte.

Der Senat hat daher einen Aufklärungsfehler angenommen. Da nicht feststellbar war, dass sich die Eltern bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung für die Nierenentfernung entschieden hätten, konnte auch keine hypothetische Einwilligung bejaht werden.