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10.000,00 € Schmerzensgeld wegen vergessener OP-Nadel im Bauchraum

Urteil des OLG Stuttgart – Az: 1 U 145/17

Immer wieder kommt es vor, dass lange nach einer Operation der Verbleib eines Fremdkörpers im Operationsgebiet nachgewiesen wird. Das können Nadeln, Tücher, Tupfer, sogar ganze Scheren oder andere bei einer Operation verwendete Materialien sein. Die verbliebenen Fremdkörper führen jedoch nicht selten zu erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen des Patienten.

Bei unserer damals 30-jährigen Mandantin wurde während einer Operation eine 1,9 cm lange Nadel im Bauchraum vergessen. Diese fiel bei einem kurz darauf angefertigten CT auf.  Obgleich das Krankenhaus in diesem Moment davon Kenntnis erlangte, hat es unserer Mandantin mehrere Wochen den Verbleib des Fremdkörpers verschwiegen.

Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des vollbeherrschbaren Risikos

Nun hat das OLG Stuttgart in diesem Fall entschieden, dass unserer Mandantin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € zusteht. Auch muss das Krankenhaus alle zukünftigen Schäden übernehmen, welche ggf. durch die im Körper belassene Nadel entstehen werden.

Das OLG Stuttgart sieht in dem Zurücklassen der Nadel im Bauchraum einen schuldhaften Behandlungsfehler. Unserer Mandantin kam eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen des voll beherrschbaren Risikos zu.

Voll beherrschbare Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass diese durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt werden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können und müssen. Das unbemerkte Zurücklassen eines Fremdkörpers im Operationsgebiet ist dem voll beherrschbaren Bereich der Klinik zuzuordnen.

Ärzte müssen alle möglichen und zumutbaren Sicherungsvorkehrungen gegen das unbeabsichtigte Zurücklassen eines Fremdkörpers treffen

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Ärzte alle möglichen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen treffen, um das Zurücklassen eines Fremdkörpers im Operationsgebiet zu vermeiden. Es gehöre zu den chirurgischen Grundprinzipien, die Instrumente nach einer Operation auf Vollständigkeit zu prüfen. 

Zudem führt das OLG Stuttgart aus, dass das Aktionsbündnis Patientensicherheit bereits im Jahr 2010 unter dem Titel „Jeder Tupfer zählt“ Handlungsempfehlungen zur Vermeidung unbeabsichtigt belassener Fremdkörper im Operationsgebiet herausgegeben habe, an deren Entstehung mehrere Fachverbände mitgewirkt haben. Die Handlungsempfehlungen wurden seinerzeit durch einen Beschluss des Deutschen Bundestages durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert. Das OLG sieht es als befremdlich an, dass sich in diesem Prozess gerade die Bundesrepublik Deutschland (als Träger des Klinikums) auf den Standpunkt stelle, vier Jahre nach Veröffentlichung der Empfehlung, nicht zu Zählkontrollen verpflichtet gewesen zu sein.

10.000,00 € Schmerzensgeld

Aufgrund der zurückgelassenen Nadel muss sich unsere Mandantin im Abstand von 6-12 Monaten röntgenologischen Untersuchungen unterziehen, um sicherzustellen, dass die Nadel nicht im Körper wandert. Das geht mit der entsprechenden Strahlenbelastung einher.

Auch die Tatsache, dass sich die Nadel im Körper befindet und die Ungewissheit, ob zukünftig eine Operation zur Entfernung der Nadel erforderlich wird, hat das OLG Stuttgart bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt.